Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Dr. Matthias Forell und Jakob Schuchardt

Im Interview

Mikrokosmos schulischer Nahraum: Sozialraumanalyse mit der ALSO-App

Landkreise und kreisfreie Städte tragen maßgeblich dazu bei, allen Kindern und Jugendlichen faire Bildungschancen zu gewähren, indem sie sozialstrukturelle Unterschiede kleinräumig analysieren und mit gezielten Unterstützungsmaßnahmen darauf reagieren. Um insbesondere Schulen als zentrale Ankerpunkte im Sozialraum wirksam zu unterstützen, müssen kleinräumige Daten zum Sozialraum mit Informationen aus der Einzelschule verknüpft werden. Dr. Matthias Forell und Jakob Schuchardt haben gemeinsam mit Jörn-Michael Richter und in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Gabriele Bellenberg und Prof. Dr. Jörg-Peter Schräpler (alle Ruhr-Universität Bochum) im Rahmen der Bund-Länder-Initiative "Schule macht stark" eine Webanwendung entwickelt, die den schulischen Sozialraum in seiner Vielschichtigkeit datengestützt beschreibt und anschaulich abbildet. “ALSO”, Außerunterrichtliches Lernen und Sozialraumorientierung, ist dabei ebenso der Titel des Inhaltsclusters im Förderprogramm “Schule macht stark” wie auch der App, die im Kontext der Schulbegleitung entwickelt wurde. 

Im KOSMO-Interview stellen Sie die ALSO-App, die bisher vor allem von Schulen genutzt wird, vor und sprechen über Anwendungsmöglichkeiten für Kommunen zur datengestützten Gestaltung schulischer und außerschulischer Lerngelegenheiten.

Welche Bedeutung hat der schulische Sozialraum für die Gestaltung guter Lern- und Bildungschancen und wie kam es zu der Idee, die ALSO-App zu entwickeln?

Schulen sind keine isolierten Orte des Lernens, sondern eingebettet in ein vielschichtiges Sozialraumgefüge, das maßgeblich die Lern- und Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen beeinflusst. Vor diesem Hintergrund betrachten wir die Schule als Sozialraum im Sozialraum, die sowohl von physisch-materiellen, sozialdemografischen als auch handlungsbezogenen Standortbedingungen geprägt ist. Eine sozialraumorientierte Perspektive auf Schulentwicklung bedeutet daher, den Blick nicht nur auf die Schule selbst zu richten, sondern auch ihre lokale Einbettung in das soziale Umfeld zu betrachten. Dies erfordert ein dreigeteiltes Verständnis des schulischen Sozialraums:

Darüber hinaus gehört zu den Strukturbedingungen des deutschen Schulsystems, dass neben individuellen und strukturellen Herkunftseffekten auch kollektive Kontextfaktoren auf der Ebene der Lerngruppe, der Einzelschule sowie ihres Umfeldes maßgeblich für Bildungschancen sind. Zusammengeführt münden sie in unterschiedliche Lern- und Entwicklungsmilieus an Schulen, die sich in gut oder schlecht situierten Lagen abbilden lassen.

Daraus resultierte die Idee, eine App zu entwickeln, die Schulen dabei unterstützt, ihren Sozialraum datenbasiert zu analysieren und gezielt in ihre Schulentwicklungsprozesse einzubeziehen. Die ALSO-App bietet einen multiperspektivischen Überblick über herkunftsbezogene Merkmale der Schüler*innenschaft und ermöglicht den Schulen, interaktive Karten ihres Einzugsgebietes zu erstellen.

Dr. Matthias Forell

Vertr.-Prof. Dr. Matthias Forell

Universität Osnabrück, Institut für Erziehungswissenschaft

  • Vertretungsprofessor für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Diversität und Teilhabe an der Universität Osnabrück
     
  • Arbeitsschwerpunkte: Schule und soziale Ungleichheit, Bildungsübergänge und Bildungsgerechtigkeit, sozialraumorientierte Schulentwicklung
     
  • Neben der Koordination des ALSO-Clusters in “Schule macht stark” gehört er auch dem Leitungsteam der beiden vom BMBF geförderten Projekte DigiSchuKuMPK sowie der wissenschaftlichen Begleitung des Startchancen-Programms an.
     
  • Kontakt: ✆ 0541 969 6025 // ✉ matthias.forell@uos.de

Jakob Schuchardt, M.A.

Jakob Schuchardt, M.A.

Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für sozialwissenschaftliche Datenanalyse

  • arbeitet im Team von Prof. Dr. Jörg-Peter Schräpler am Lehrstuhl für sozialwissenschaftliche Datenanalyse der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen des BMBF-Projekts “Schule macht stark” sowie als Teil der wissenschaftlichen Begleitforschung des Startchancen-Programms
     
  • frühere Tätigkeit am Zentrum für Interdisziplinäre Regionalforschung (ZEFIR) im Projekt "Wie geht’s Dir? UWE", das sich mit Umwelt, Wohlbefinden und der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen befasste
     
  • Kontakt: ✆ 0234 32 21358 // ✉ jakob.schuchardt@rub.de
  • Individuelle Herkunftseffekte
    Diese beziehen sich auf den Einfluss der sozialen, ökonomischen und kulturellen Herkunft einer einzelnen Person auf ihren Bildungserfolg. Dazu gehören z. B. das schulische bzw. akademische Bildungsniveau oder der Berufsstatus der Eltern, aber auch die sprachliche Prägung in den Familien.
     
  • Strukturelle Herkunftseffekte
    Diese betreffen nicht nur einzelne Personen, sondern systematische Unterschiede, die sich aus gesellschaftlichen Strukturen ergeben. Dazu zählen beispielsweise ungleiche Bildungschancen zwischen verschiedenen sozialen Schichten oder zwischen städtischen und ländlichen Regionen. Auch gewachsene institutionelle Strukturen wie die Mehrgliedrigkeit des deutschen Schulsystems, regionale Ungleichheiten in der Ressourcenverteilung und langfristige sozioökonomische und politische Rahmenbedingungen vor Ort beeinflussen die Bildungschancen.
     
  • Kollektive Kontextfaktoren
    Dieser Begriff beschreibt die Einflüsse, die sich aus der Zusammensetzung und den Eigenschaften einer Gruppe, einer Institution oder des Umfeldes ergeben. Auf Ebene der Lerngruppe sind z. B. die Art zu kommunizieren und zu kooperieren, Normen und Werte in der Gruppe und Peer-Effekte einzelner Gruppenmitglieder kollektive Einflüsse, die die Lernchancen beeinflussen. Auf Ebene der Schule sind z. B. Schulkultur und -klima, organisatorische Strukturen wie Regelwerke, Unterrichtsorganisation sowie materielle und personelle Ressourcen gemeint. Das Umfeld prägt über die sozioökonomischen Bedingungen des Sozialraums der Schule, die kulturellen und politischen Einflüsse sowie Netzwerke und Kooperationen die Bildungschancen der Schüler*innen.

Diese individuellen, strukturellen und kollektiven Faktoren sind miteinander verflochten und tragen dazu bei, wie Lernumgebungen gestaltet werden und welche Chancen und Herausforderungen in der schulischen Bildung bestehen.

Ziel der Anwendung ist es, schulische wie außerschulische Akteur*innen für die Lebensrealitäten der Schüler*innen zu sensibilisieren und Schulen zugleich als regional und lokal vernetzte Bildungsakteur*innen zu stärken. Damit liefert die App wertvolle Impulse für eine sozialraumorientierte Schulentwicklung, die sich an den standortspezifischen Rahmenbedingungen sowie den Interessen- und Bedarfslagen vor Ort orientiert. Darüber hinaus können Schulen bestehende und potenzielle Kooperationspartnerschaften in der Kartenansicht verorten, um Netzwerke strategisch auszubauen. Damit wird nicht nur die sozialraumbezogene Schulentwicklungskapazität gestärkt, sondern auch eine gezielte und ressourcenorientierte Bildungssteuerung auf kommunaler Ebene ermöglicht.

Die Bund-Länder-Initiative „Schule macht stark“ (Laufzeit 2021-2025), gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), bringt deutschlandweit 13 wissenschaftliche Einrichtungen und Universitäten mit 200 Schulen in sozial benachteiligten Lagen zusammen. Ziel dieses Projekts ist es, die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, die aufgrund ihrer Herkunft oft schwierigere Lernausgangslagen mitbringen. Dabei steht eine individuell abgestimmte Unterstützung der Schulen im Mittelpunkt. Durch diese intensive Zusammenarbeit werden wissenschaftlich fundierte Ansätze entwickelt, die passgenau auf die Bedürfnisse der Schulen zugeschnitten sind – sei es in den Bereichen Schul- und Unterrichtsentwicklung, der Professionalisierung von Lehrkräften oder in Bezug auf die Sozialraumorientierung von Schulen. 

In diesem Kontext hat das Inhaltscluster „Außerunterrichtliches Lernen und Sozialraumorientierung“ (ALSO-Cluster) ein ko-konstruktives Werkstattformat erarbeitet, welches das Ziel verfolgt, durch sozialraumorientierte Schulentwicklungsprozesse individuelle Herausforderungen einzelner Schulen zu adressieren. Aus diesem Prozess ist neben anderen sozialraumorientierten Schulentwicklungsinstrumenten auch die ALSO-App hervorgegangen. Entwickelt wurde diese von Vert.-Prof. Dr. Matthias Forell, Jakob Schuchardt, Jörn-Michael Richter mit Prof. Dr. Gabriele Bellenberg und Prof. Dr. Jörg-Peter Schräpler. Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Projekt werden außerdem in das Startchancen-Programm überführt.

Welche Rolle spielen Landkreise und kreisfreie Städte in der sozialräumlich orientierten Schulentwicklung und welche Informationen benötigen Kommunen, um diese Rolle auszufüllen? 

Landkreise und kreisfreie Städte übernehmen eine zentrale Funktion in der sozialräumlich orientierten Schulentwicklung, je nach landesrechtlichen Vorgaben und Schulart als Schulträger. Darüber hinaus sind Kommunen verantwortlich für die Vernetzung und Koordinierung schulischer und außerschulischer Akteur*innen und Bildungsangebote sowie für die Bereitstellung von Unterstützungsstrukturen, insbesondere im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe oder des Übergangsmanagements. Besonders kommunale Bildungsbüros spielen hierbei eine Schlüsselrolle, da sie Steuerungswissen über regionale Bildungslandschaften bündeln und die Vernetzung relevanter Akteur*innen gezielt vorantreiben.

Kommunale Herausforderung: Für eine sozialraumorientierte Schulentwicklung sollten differenzierte standortbezogene Daten zur sozialen Lage der Schüler*innen, zum schulischen Nahraum und zu Kooperationsbeziehungen bereitgestellt und genutzt werden.

Obwohl Kommunen über zahlreiche Steuerungsinstrumente verfügen, fehlt es ihnen nicht selten an differenzierten kleinräumigen Daten, die über großflächig aggregierte statistische Kennzahlen hinausgehen. Wichtige Informationen z. B. zur sozialdemografischen Zusammensetzung der Schüler*innenschaft – etwa zu Segregationseffekten und deren Auswirkungen auf den schulischen Sozialraum – liegen nicht immer in der nötigen Detailtiefe vor. Darüber hinaus fehlt es oft an einer systematischen Übersicht über bestehende und potenzielle Vernetzungsstrukturen zwischen Schulen und außerschulischen Kooperationspartner*innen. Dabei könnte eine verbesserte Datenlage nicht nur die kommunale Bildungssteuerung gezielter ausrichten, sondern auch eine nachhaltigere Schulentwicklung ermöglichen. Eine stärkere Verzahnung von Bildungs- und Sozialdaten sowie eine tragfähige Vernetzung der relevanten Akteure würde dazu beitragen, sozialräumliche Ressourcen gezielter zu aktivieren und Bildungsungleichheiten zielgerichtet entgegenzuwirken.

Wie kann die ALSO-App Kommunen dabei unterstützen, Leerstellen in der Bildungsplanung zu schließen?

Eine zentrale Herausforderung in der kommunalen Bildungsplanung ist die uneinheitliche Datenlage: Während einige Städte, wie z. B. Hamburg, über eine detaillierte und kleinräumige Datengrundlage verfügen, haben insbesondere ländliche Kommunen oder Landkreise oft nur großflächige oder unzureichend differenzierte Daten zur Verfügung, insbesondere wenn sie keine eigene abgeschottete Statistikstelle haben. Die ALSO-App kann hier eine wertvolle Ergänzung sein, indem sie eine hypothetisch deutschlandweit einheitliche, vergleichbare und kleinräumige Datenbasis zur Verfügung stellt.

Kleinräumige Bildungsplanung: Die ALSO-App bietet Kommunen einen objektiven, vergleichbaren Blick auf den Sozialraum, indem sie die Analyse und Visualisierung von Sozialraumdaten ermöglicht.

Die Anwendung kann dazu verwendet werden, bereits vorhandene Daten anschaulich zu visualisieren und zugänglich zu machen. In Kommunen ohne Statistikstelle oder mit nur geringfügig verfügbaren Daten kann sie als Grundlage für eine detailliertere Sozialplanung, ein vertieftes Bildungsmonitoring oder ergänzend in der Schulentwicklungsplanung dienlich sein. Durch die Bereitstellung kleinräumiger Daten mit einer breiten Palette an Variablen ergänzt die App bestehende amtliche, halbamtliche und kommunale Daten und kann somit zur fundierten Entscheidungsfindung in der Bildungsplanung beitragen.

Diese Zusammenführung von Daten bietet Akteur*innen aus Schule, Verwaltung und Sozialraum eine objektive Gesprächsbasis zur Diskussion über Handlungsoptionen für die Schulstandortentwicklung zum Beispiel in Bezug auf den Ganztagsausbau oder die Umsetzung von Projekten zu Themen wie Demokratiebildung oder Bildung für nachhaltige Entwicklung.

Die ALSO-App im Überblick: Schnittstelle, Funktionen und Potenziale für kommunale Planungen in Halle (Saale)

Die nachfolgenden Abbildungen geben einen Überblick über das Interface der ALSO-App samt Sozialraumkarte für eine der von uns begleiteten Schulen aus Halle an der Saale. Über einen Reiter an der linken Seite können diverse Einstellungen für die Darstellung der Sozialraumkarte vorgenommen werden (Abb. 1), z. B. die dargestellte Variable, die Farbgebung, der betrachtete Radius, die Anzahl der abzubildenden Quantile oder die auf der Karte mit abgebildeten Legenden. Die Sozialraumkarte selbst zeigt in diesem Fall die Arbeitslosenquote in einem 10km-Radius um die Schule herum (je dunkler die Farbgebung, desto höher die Quote in den jeweiligen kleinräumigen Gebieten). Darüber hinaus sind die Stadtgrenzen und ein (fiktives) Einzugsgebiet der Schule eingezeichnet. Über die weiteren Funktionen der App kann das Einzugsgebiet jederzeit angepasst werden (Abb. 2), außerdem können Kooperationspartnerschaften der Schule mit einem Marker zur Karte hinzugefügt und mit weiteren detaillierten Informationen (z. B. Name, Trägerschaft, Beschreibung) hinterlegt werden (Abb. 3).

Die App wurde bislang zwar noch nicht direkt mit Kommunen in der Praxis implementiert, das Interesse, welches uns auf diversen Veranstaltungen entgegenkommt, ist aber groß. Insbesondere in unseren Konzeptentwicklungsworkshops mit Schulen haben auch Vertreter*innen der Kommunalverwaltung teilgenommen und die Potenziale der App für ihre Arbeit erkannt. Ein Beispiel ist die Stadt Halle (Saale), mit deren Stadtentwicklungsabteilung wir im Austausch stehen. Dort gibt es Überlegungen, unsere Analysen als Ergänzung in das bestehende Sozialraummonitoring der Stadt aufzunehmen. Eine endgültige Entscheidung darüber steht zwar noch aus, zeigt aber, dass die ALSO-App auch in kommunalen Planungsprozessen als sinnvolle Ergänzung wahrgenommen wird. Insgesamt bietet die ALSO-App Kommunen also eine Möglichkeit, Leerstellen in der Bildungs-, Sozial- und Stadtentwicklungsplanung zu schließen, indem sie datenbasierte Analysen vereinfacht, die Vergleichbarkeit zwischen Regionen erhöht und eine kleinräumige Perspektive auf sozialräumliche Ungleichheiten und Bildungsungleichheiten ermöglicht. 

Die Sozialraumkarten bilden sogenannte Schlüsselindikatoren und einen multiplen Benachteiligungsindex ab. Welche Aussagen können mit diesen Kennzahlen bzw. dem Index getroffen werden? 

Über die Sozialraumkarten der ALSO-App können verschiedene Schlüsselindikatoren und ein multipler Benachteiligungsindex abgebildet werden. Die Auswahl der Schlüsselindikatoren orientiert sich an zentralen Dimensionen der Bildungsbenachteiligung wie sozioökonomische, schulbildungsbezogene und herkunftssprachliche Risikolagen in den Familien. Ziel ist es, einen fundierten und ganzheitlichen Blick auf den Sozialraum zu ermöglichen und Schulen sowie weiterführend auch Kommunen eine datenbasierte Grundlage für Handlungsbedarfe und -optionen zu bieten.

Die Schlüsselindikatoren umfassen:

  • Arbeitslosenquote (als Anteil an der Bevölkerung)
  • durchschnittliche Nettokaufkraft pro Einwohner im Jahr
  • Abiturquote (Anteil der Haushalte mit Abitur)
  • Quote an Personen ohne bzw. mit nicht anerkanntem Schulabschluss 
    (als Anteil an Haushalten)
  • Anteil an Personen mit nicht-deutscher Familiensprache 
    (basierend auf Verfahren der Namenskunde).

Schlüsselindikatoren orientieren sich an zentralen Dimensionen der Bildungsbenachteiligung.

Diese Indikatoren liegen auf der kleinräumigen PLZ8-Ebene vor – einer von microm entwickelten, fein untergliederten Version der deutschen Postleitzahlen. Die PLZ8 basiert auf den 5-stelligen Postleitzahlen und unterteilt diese in homogene, räumlich präzise Einheiten mit durchschnittlich etwa 500 Haushalten bizw. 1.000 Einwohner*innen. Die Abgrenzung erfolgt dabei sowohl auf postleitzahl- als auch auf gemeindescharfer Ebene. Insgesamt existieren rund 83.000 dieser PLZ8-Gebiete.

Während die Betrachtung der einzelnen Schlüsselindikatoren dabei helfen kann, spezifische soziale Herausforderungen, wie z. B. die Verteilung der Arbeitslosigkeit, zu identifizieren, erlaubt der multiple Benachteiligungsindex eine multivariate Betrachtung. Hierbei werden nach Vorbild des ‚Index of Multiple Deprivation‘ aus Großbritannien mehrere Schlüsselindikatoren kombiniert und gewichtet, um zu bestimmen, welche Gebiete einer Stadt oder Region im Verhältnis zum Gesamtgebiet besonders benachteiligt sind. Dies erleichtert es, besonders herausgeforderte Gebiete und Sozialräume auf einen Blick zu erkennen und Maßnahmen gezielt zu entwickeln, sodass ungleiches auch ungleich behandelt werden kann.

Multipler Benachteiligungsindex: Mit der kombinierten Analyse gewichteter Schlüsselindikatoren werden benachteiligte Sozialräume im Vergleich zur Region sichtbar gemacht.

Perspektivisch werden die Analysen und verfügbaren Darstellungen weiter ausgebaut, z. B. ist die Berechnung eines Fragmentierungsindex geplant, der darstellt, wie divers einzelne Sozialräume zusammengesetzt, also wie stark oder schwach sie fragmentiert sind – etwa durch eine Vielzahl verschiedener Herkunfts- und Familiensprachen.

Zusätzlich sind weitere sozioökonomische Daten verfügbar, die in der Zusammenarbeit mit Schulen bisher weniger eine Rolle gespielt haben, insbesondere für kommunale Planungsprozesse aber relevant sein könnten. Hierzu zählen z. B. verschiedene weitere Variablen zur Kaufkraft, die Anzahl der Haushalte und Einwohner*innen, die Anzahl der Kinder, das Alter der dort lebenden Personen oder der in einem Gebiet vorherrschende Haustyp.

Der Multiple Benachteiligungsindex (MBI) der ALSO-App ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung der wirtschaftlichen, (schul-)bildungsbezogenen und herkunftssprachlichen Risikolagen auf kleinräumiger PLZ8-Ebene. Die verschiedenen Dimensionen von Benachteiligung werden zusammengeführt, um ein Gesamtbild des schulischen Sozialraums bzw. des Stadtgebietes zu erhalten. Die Berechnung des MBI orientiert sich methodisch am “Index of Multiple Deprivation” (Quelle: Ministry of Housing, Communities & Local Government (2019). The English Indices of Deprivation 2019 (IoD2019). London.) aus Großbritannien, der in der sozialräumlichen Forschung etabliert ist.

Die einzelnen Indikatoren werden z-transformiert, um eine einheitenunabhängige und vergleichbare Skalierung zu gewährleisten. Z-Transformation bedeutet, dass die Werte so standardisiert werden, dass sie einen Mittelwert von 0 und eine Standardabweichung von 1 haben. Anschließend erfolgt eine Gewichtung entsprechend der jeweiligen Bevölkerungs- bzw. Haushaltsanzahl im Gesamtgebiet (z. B. ein Landkreis oder eine Stadt), je nach Bezugsgröße der Variable. Dadurch wird sichergestellt, dass stärker besiedelte Gebiete einen entsprechenden Einfluss auf das Gesamtbild haben.

Der MBI setzt sich aus vier Dimensionen und mehreren Variablen zusammen:

Finanzielle Leistungsfähigkeit

(Dimension gewichtet mit -1, da höhere Werte hier für weniger Benachteiligung stehen)

  • Haustyp 1 & Haustyp 2 (repräsentieren die Wohnstruktur als Indikator für soziale Lage)
  • Nettokaufkraft pro Haushalt

Soziale Bedürftigkeit

  • Arbeitslosenquote (als Anteil an der Bevölkerung)

Bildungsbezogene Dimension

  • Quote an Personen ohne bzw. mit nicht anerkanntem Schulabschluss (als Anteil an Haushalten)
  • Quote an Personen mit Hauptschulabschluss (als Anteil an Haushalten)

Diversitätsspezifische Dimension

  • Anteil nicht-deutschsprachiger Namen (basierend auf onomastischen Verfahren)

Durch die Kombination dieser Faktoren entsteht ein Indexwert, der die Benachteiligung eines Gebiets im Verhältnis zur Gesamtstadt oder einem anderen gewählten Vergleichsradius abbildet. Der Index ist auf einer Skala von 0 bis 10 normiert, wobei höhere Werte eine stärkere Benachteiligung anzeigen. Auf den Sozialraumkarten wird dies durch ein Ampelsystem von dunkelgrün nach dunkelrot visualisiert. 

Woher beziehen Sie die Daten und welche Kosten sind damit verbunden?

Wir beziehen unsere Daten von der der microm Micromarketing-Systeme und Consult GmbH, einem Anbieter kleinräumiger Daten und Analysen mit Sitz in Neuss. Das Unternehmen stellt sozialstrukturelle, demografische und wirtschaftliche Kennzahlen bereit, die für verschiedene analytische Anwendungen genutzt werden. Microm aggregiert und verarbeitet Daten aus amtlichen Quellen, eigenen Erhebungen sowie anderen kostenpflichtigen Datenbeständen und ermöglicht damit eine detaillierte kleinräumige Segmentierung. Neben privatwirtschaftlichen Anwendungen arbeitet microm auch mit öffentlichen Institutionen und wissenschaftlichen Einrichtungen zusammen und bietet sowohl standardisierte als auch individuell zugeschnittene Datenlösungen an. Durch die Kombination von soziodemografischen, ökonomischen und geodatenbasierten Informationen ermöglicht microm die Analyse und Modellierung räumlicher Strukturen. Die Microm-Daten werden als fertige Layer für gängige Geoinformationssysteme (GIS) angeboten. Dies erleichtert die Integration in Kartenanwendungen und statistische Modelle, die – wie in unserem Fall – beispielsweise mit Statistikprogrammen wie R ausgelesen und weiterverarbeitet werden können.

Ein zentraler Aspekt bei der Nutzung kleinräumiger Sozialraumdaten ist ihre Qualität und Vergleichbarkeit. Die von microm bereitgestellten Daten zeichnen sich durch eine hohe Passgenauigkeit im Abgleich mit amtlichen Quellen aus. Dies zeigt sich bspw. in einem von uns durchgeführten Vergleich mit amtlichen statistischen Daten der Stadt Dortmund (siehe Infobox “Datenqualität: Abgleich mit amtlichen Daten”). Daraus wird deutlich, dass die microm-Daten die sozialstrukturellen Merkmale der einzelnen Stadtgebiete konsistent abbilden. Diese hohe Datenqualität ist eine entscheidende Grundlage für analytische Anwendungen, da sie robuste und belastbare Aussagen ermöglicht.

Open-Source und anpassbar: Die ALSO-App basiert auf der Software R und ermöglicht die Integration und Nutzung von Daten aus unterschiedlichen Quellen – wie der amtlichen und halbamtlichen Statistik oder aus kommunaler Quelle.

Da die App auf der Open-Source-Software R und einer Vielzahl frei zugänglicher Pakete basiert, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, eigene Daten aus Kommunen oder Ländern in die App zu integrieren. Dies erlaubt eine noch passgenauere sozialräumliche Analyse auf Basis lokaler Erhebungen. Die Einbindung externer Daten setzt allerdings eine entsprechende Aufbereitung und Einspeisung durch die Entwickler der App voraus, um eine nahtlose Integration in die bestehende Datenstruktur der App zu gewährleisten.

Zur Kostenstruktur lässt sich Folgendes sagen: Die Nutzung der App ist grundsätzlich kostenfrei. Je nach Bedarf fallen für die Abfrage und Bereitstellung von Daten Kosten im vertretbaren Rahmen (mittlerer dreistelliger Betrag pro Standort) an, die sich je nach Umfang der Variablen, dem Radius der Abfrage und der Anzahl der einbezogenen Standorte zusammensetzen.

Um die microm-Daten methodisch zu bewerten, wurden sie exemplarisch mit den Zahlen der Stadtstatistik Dortmund (vgl. Stadt Dortmund, 2022) verglichen. Auf gesamtstädtischer Ebene entsprechen die microm-Bevölkerungszahlen exakt denen des Statistischen Landesamts (586.852 Einwohner) aus dem Jahr 2021, während die Stadt Dortmund für den gleichen Zeitraum etwas mehr als 600.000 Einwohner ausweist (+2,7 %). 

Auf Stadtbezirksebene beträgt die gewichtete Abweichung zwischen microm und der Stadtstatistik durchschnittlich 1.240 Personen pro Bezirk (bei ca. 50.200 Einwohnern im Mittel pro Bezirk). Diese Abweichungen sind im Kontext der kleinräumigen Erfassung der microm-Daten zu betrachten: Bei den gut 600 PLZ8-Gebieten (mit jeweils etwa 1.000 Bewohner*innen), in die microm das Dortmunder Stadtgebiet einteilt, und rund 50 PLZ8-Gebieten pro Bezirk, entspricht dies einer vergleichsweise geringen durchschnittlichen Abweichung von knapp 25 Personen pro PLZ8-Gebiet (+/-2,5 %). 

Beim Anteil an Menschen mit sog. Migrationshintergrund liegt die gewichtete Differenz zu dem von microm ausgewiesen Anteil an Personen mit nicht-deutscher Familiensprache bei -1,2 % (zwischen -5,0 % und +6,0 %). Die relativ große Spannweite lässt sich darüber erklären, dass in Stadtbezirken mit hohen Anteilen größere Differenzen zu den microm-Daten auftreten. Bei der in beiden Statistiken gleich bezeichneten Arbeitslosenquote beträgt sie -1,5 % (zwischen -3,0 % und +0,8 %). In Stadtbezirken mit einer hohen amtlichen Arbeitslosenquote weisen die microm-Daten tendenziell leicht niedrigere Werte auf. 

Diese moderaten Differenzen lassen sich auf unterschiedliche methodische Ansätze zurückführen; insbesondere auf die Nutzung amtlicher Meldedaten in der Stadtstatistik gegenüber kleinräumigen Modellierungen bei microm. Insgesamt verdeutlicht der exemplarische Vergleich, dass die microm-Daten eine zuverlässige, aktuelle und differenzierte Grundlage für die Sozialraumanalyse schulischer Einzugsgebiete darstellen.


Quelleninformation

Stadt Dortmund, 3/Dez - Dortmunder Statistik (2022). dortmunderstatistik. tabellenband 2022 - bevölkerung. Dortmund. https://www.dortmund.de/dortmund/projekte/rathaus/verwaltung/dortmunder-statistik/downloads/tabellenband_bevoelkerung_2022.pdf. Zugegriffen: 04.03.2025.

Unter welchen Bedingungen können Kommunen die App nutzen?

Die Anwendung kann in jedem Webbrowser abgerufen werden. Sie läuft über einen in Deutschland stationierten Server und wird von der Ruhr-Universität Bochum verwaltet. Der Zugang erfolgt passwortgeschützt, sodass Kommunen ausschließlich auf ihren eigenen Datenbereich zugreifen können. Alle Funktionen und Teilbereiche der App werden zudem an den entsprechenden Stellen erläutert.

Unkomplizierte Nutzung: Kommunen müssen keine besonderen technischen oder organisatorischen Voraussetzungen erfüllen, um die ALSO-App zu nutzen.

In der App werden ausschließlich aggregierte Daten verarbeitet, beispielsweise auf PLZ8-, Stadtteil- oder Bezirksebene und mit interaktiven Karten visualisiert. Individualdaten, die Rückschlüsse auf einzelne Personen zulassen könnten, werden nicht verwendet, eine abgeschottete Statistikstelle oder besondere Datenschutzprüfungen sind daher nicht erforderlich.

Darüber hinaus wird die App auch im Rahmen des Startchancen-Programms weiterentwickelt und bleibt daher mindestens bis 2034 nutzbar.

Kontakt aufnehmen und ALSO-App erproben

Haben Sie Interesse, die Funktionen der ALSO-App ausführlicher kennenzulernen, sich mit weiteren interessierten Kommunen auszutauschen und die Anwendung in Ihrer Arbeit unter Begleitung des Entwicklerteams zu erproben, dann nehmen Sie gern Kontakt zu uns auf.


Ansprechpartnerinnen

Annika Kuchta

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Anna Hinzen

Wissenschaftliche Mitarbeiterin

KOSMO-Newsletter

Mit allen Infos rund um das kommunale Bildungsmonitoring!

Kontakt

Standort Potsdam

kobra.net, Kooperation in Brandenburg, gemeinnützige GmbH
Benzstr. 8/9, 14482 Potsdam

Ansprechpartner:
Tim Siepke, Leitung

0331 / 2378 5331
info@kommunales-bildungsmonitoring.de

Standort Trier

Kommunales Bildungsmanagement Rheinland-Pfalz - Saarland e.V.
Domfreihof 1a | 54290 Trier

Ansprechpartner:
Dr. Tobias Vetterle, Leitung

0651 / 4627 8443
info@kommunales-bildungsmonitoring.de

Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.