Die demografische Entwicklung als zentraler Faktor für die Bildungsplanung
Die kommunale Fachkräftesituation wird maßgeblich davon beeinflusst, wie viele Personen dem Arbeitsmarkt potenziell zur Verfügung stehen. Die Entwicklung eben dieser Erwerbsbevölkerung wird durch folgende demografische Aspekte bestimmt:
- Entwicklung von Geburten- und Sterbezahlen
- (über-)regionale Zu- und Fortzüge
- Zuwanderung aus dem Ausland
All diese Faktoren sind dynamisch und in hohem Maße regional unterschiedlich. Sie bilden die Grundlage zur datengestützten Beschreibung der aktuellen und künftigen Bevölkerungsstruktur.
Für eine Abschätzung künftiger Fachkräfteengpässe ist, neben einem differenzierten Verständnis der kommunalen Bevölkerungsstruktur, eine Betrachtung der zu erwartenden regionalen demografischen Entwicklungen erforderlich.
Bei der Betrachtung der demografischen Entwicklungen empfehlen wir drei Herangehensweisen. Anregungen und Beispiele zur Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen haben wir im Rahmen dieser Unterseite aufbereitet.
HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
Auswahl relevanter Indikatoren zur Bewertung des Erwerbspersonenpotenzials
Um ein umfassendes Bild davon zu erhalten, wie viele Personen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, ist die kombinierte Betrachtung der Bevölkerungszahl, der Altersstruktur, der Bevölkerungsdichte sowie des Alten- und Jugendquotienten empfehlenswert. Diese Informationen bieten wertvolle erste Einblicke in das vorhandene und zukünftige Fachkräfteangebot und unterstützen bei der Entwicklung zielgerichteter Strategien zur Fachkräftesicherung.
Bevölkerungsprognosen für gezielte Fachkräftesicherung nutzen
Die frühzeitige Identifikation künftiger Fachkräfteengpässe erfordert ein fundiertes Verständnis der bevorstehenden demografischen Entwicklungen. Um den spezifischen Herausforderungen jeder Kommune gerecht zu werden, ist die Erstellung von kommunalspezifischen Bevölkerungsprognosen ratsam. Die Auswahl passender Berechnungsmodelle und Datenquellen sollte sich dabei an den kommunalen Besonderheiten orientieren.
Zugang zu aktuellen und relevanten Datenquellen sichern
Bevölkerungsentwicklungen sind dynamisch. Um sie exakt und datengestützt zu prognostizieren, bedarf es aktueller und kleinräumiger Daten. Aus diesem Grund ist eine enge Zusammenarbeit mit den kommunalen Meldebehörden und Standesämtern empfehlenswert, um die kontinuierlich aktualisierten Daten der Melderegister nutzen zu können.
Datenquellen und -zugänge
Zentrale Kennzahlen zur Erfassung der kommunalen Bevölkerungsstruktur sowie zur Betrachtung von möglichen künftigen Bevölkerungsentwicklungen bieten die kommunalen Melderegister. Im Melderegister werden folgende Daten, die zur Erfassung der Bevölkerungsstruktur genutzt werden können, erfasst:
- Geburtsdatum und -ort
- Geschlecht
- Staatsangehörigkeit
- gegenwärtige und frühere Anschriften, Datum des Ein- und Auszugs
- Sterbedatum und -ort
Wenn eine Kommune über eine eigene Statistikstelle verfügt, können die Einwohnermeldedaten hierrüber bezogen werden. Kommunen ohne eigene Statistikstelle sind auf eine Kooperation mit den kreisangehörigen Gemeinden angewiesen, um Zugang zur jeweiligen Einwohnermeldestatistik zu erhalten.
Im Rahmen der Fortschreibungen der Zensus-Daten stellen auch die Statistischen Landesämter Daten zur Zusammensetzung der Bevölkerung zur Verfügung. Diese Daten können – häufig bis auf Gemeindeebene – über die Seiten der Statistischen Landesämter bezogen werden. Das Onlineangebot verfügbarer Daten und Downloadformate variiert zwischen den Bundesländern. Daher kann auch hier je nach Erkenntnisinteresse eine zusätzliche Datenanfrage hilfreich sein. Einige Statistische Landesämter stellen auch Bevölkerungsvorausberechnungen auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte online zur Verfügung. Über die Kommunale Bildungsdatenbank können einige ausgewählte und grundlegende Kennzahlen zur Bevölkerungsstruktur auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte für jedes Bundesland abgerufen werden:
- A1.1 Bevölkerung nach Geschlecht
- A1.2 Bevölkerung nach Geschlecht und Alter
- A1.3 Bevölkerung nach Geschlecht, Nationalität und Alter
- A1.4 Katasterfläche nach Nutzungsarten, Bevölkerungsdichte
- A1.5 Wanderungsbewegungen nach Alter, Nationalität und Geschlecht
Während die Bevölkerungsdaten der Statistischen Landesämter grundsätzlich allen Kreisen und kreisfreien Städten zur Verfügung stehen, muss der Datenzugang zur Einwohnermeldestatistik einzelner Gemeinden gegebenenfalls zunächst geprüft und angefragt werden. Der Vorteil der Einwohnermeldestatistik ist wiederum die Aktualität der Daten. Denn während die Daten der Statistischen Landesämter auf der Fortschreibung der Zensus-Daten beruhen, aktualisieren Meldebehörden und Standesämter die Daten der Einwohnermeldestatistik fortlaufend. Sollen eigene Berechnungen auf Grundlage selbstgewählter Annahmen zur künftigen kommunalen Bevölkerungsentwicklung durchgeführt werden, sind jahrgangsscharfe Zahlen zum Bevölkerungsstand erforderlich. Diese Daten müssen bei den kreisangehörigen Gemeinden bzw. in kreisfreien Städten bei der kommunalen Statistikstelle angefragt werden.
Tipp: Der INKAR-Atlas
Der INKAR-Atlas (Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung) des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) bündelt ebenfalls Daten zur Bevölkerungsstruktur auf Grundlage der Zensus-Erhebung. Nutzer*innen können mithilfe des interaktiven Online-Atlas eigene Datenabfragen mit selbstgewählten Indikatoren und Raumbezügen erstellen. Der kleinste Raumbezug ist je nach Indikator entweder die Ebene der Gemeindeverbände oder die der Kreise.
Auch die Statistik der Bundesagentur für Arbeit ist in den INKAR-Atlas integriert, wodurch zusätzliche arbeitsmarktrelevante Indikatoren, z.B. zur Arbeitslosigkeit oder zur Verteilung der Beschäftigten auf Berufe unterschiedlicher Branchen und Anforderungsniveaus, über INKAR-Abfragen betrachtet werden können. Für einige der Indikatoren ist die Darstellung der Ergebnisse in Form einer Karte für den gewählten Raumbezug möglich.
Bevölkerungsstruktur
Als grundlegende Rahmenbedingung für die Bildungsplanung ist die Bevölkerungsstruktur – sowie Veränderungen eben jener – i.d.R. Ausgangspunkt einer systematischen (kommunalen) Bildungsberichterstattung (Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung 2022, S. 30; Giar et al. 2020, S. 22 f.). Auch für die Abschätzung des kommunalen Fachkräftepotenzials bieten die Kennzahlen zur Bevölkerungsstruktur wichtige und aufschlussreiche Ausgangspunkte.
Altersstruktur
Wie viele Personen in der Kommune sind grundsätzlich im erwerbsfähigen Alter? Um einen Einblick zu erlangen, ist die Bevölkerungszahl in Kombination mit der Altersstruktur grundlegend. Für die Betrachtung der Altersstruktur werden je nach Erkenntnisinteresse verschiedene Altersgruppen definiert und ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ermittelt.
Die Kommunale Bildungsdatenbank weist die Werte für insgesamt 17 Altersgruppen aus. Die jüngste Altersgruppe ist hier die der Kinder unter 3 und die älteste Gruppe umfasst die Personen, die 75 Jahre und älter sind. Um den Anteil der Erwerbsbevölkerung an der Gesamtbevölkerung festzustellen, können diejenigen Altersgruppen addiert werden, welche die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter beschreiben (z.B. die Bevölkerung im Alter von 18 bis unter 65 Jahren). Mithilfe einer differenzierten Betrachtung der Altersstruktur lässt sich erörtern, mit wie vielen Renteneintritten und entsprechenden Ersatzbedarfen am Arbeitsmarkt in der näheren Zukunft zu rechnen ist. Auch die Altersgruppe der Jugendlichen, die dem typischen Alter von Schulabgänger*innen entspricht (Kühne 2015), ist in diesem Zusammenhang eine relevante Größe bei der Betrachtung künftiger Fachkräftepotenziale. Sie beschreibt die Gruppe der potenziellen Auszubildenden in kommunalen oder regionalen Ausbildungsstätten und Betrieben, Schüler*innen an Berufsschulen und Studierenden an (Fach-)Hochschulen.
Der Alten- und der Jugendquotient sind zwei Kenngrößen, die es ermöglichen, bestimmte Altersgruppen im Verhältnis zueinander zu betrachten. Während der Altenquotient das Verhältnis der ab 65-Jährigen zu den 20- bis unter 65-Jährigen (erwerbsfähige Bevölkerung) darstellt, beschreibt der Jugendquotient das Verhältnis der unter 20-Jährigen zu den 20- bis unter 65-Jährigen. Für die Berechnung des Altenquotienten wird die Zahl der ab 65-Jährigen durch die Zahl der 20- bis unter 65-Jährigen dividiert und mit 100 multipliziert. Für den Jugendquotienten dient die Zahl der unter 20-Jährigen als Dividend (Hochstetter 2015). Im Kontext der Fachkräftesicherung bieten beide Quotienten interessante Interpretationsmöglichkeiten: Ein besonders hoher Altenquotient verdeutlicht, dass ein großer Anteil der Bevölkerung nicht mehr in dem Alter ist, in dem in der Regel einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wird. Ein besonders niedriger Jugendquotient signalisiert, dass das künftig erwartbare Erwerbspersonenpotenzial der Bevölkerung verhältnismäßig niedrig ist. Veränderungen der beiden Größen im Zeitverlauf können auf notwendige Veränderungen der Bildungslandschaft oder der sozialen Versorgungssysteme hinweisen. Ein steigender Altenquotient kann beispielsweise erste Hinweise auf künftige Fachkräftebedarfe im Bereich der medizinischen Versorgung und Pflege geben.
Bevölkerungsdichte
Eine hohe Bevölkerungsdichte kann darauf hinweisen, dass es in einem bestimmten Raum eine größere Anzahl potenzieller Fachkräfte gibt, was die Rekrutierung von qualifizierten Mitarbeiter*innen erleichtern kann. Darüber hinaus kann eine hohe Bevölkerungsdichte auch auf eine gute Infrastruktur und ein attraktives Lebensumfeld hinweisen, was wiederum dazu beitragen kann, Fachkräfte anzuziehen und langfristig zu binden.
Auf der anderen Seite kann eine niedrige Bevölkerungsdichte in ländlichen Regionen oder strukturschwachen Gebieten einen ersten Hinweis auf mögliche Besetzungsprobleme am Arbeitsmarkt geben. Die Bevölkerungsdichte wird in Einwohner*innen pro km² angegeben. Hierfür wird der Quotient der Bevölkerungszahl eines Gebietes, z. B. einer Gemeinde oder eines Landkreises, und der Fläche des Gebietes ermittelt. Auf Kreisebene kann diese Kennzahl ebenfalls über die kommunale Bildungsdatenbank abgerufen werden.
Wanderungsbewegung und Migration
Die Wanderungsbewegungen der Bevölkerung geben Aufschluss über die Veränderung des Erwerbspersonenpotenzials einer Region. Sie lassen sich anhand der Daten über Zu- und Fortzüge nachzeichnen. Diese werden in den kommunalen Melderegistern erfasst und auf Basis der Bevölkerungsfortschreibung auch von den Statistischen Landesämtern zur Verfügung gestellt.
In der Kommunalen Bildungsdatenbank werden anhand der Kennzahl „A1.5: Wanderungsbewegungen nach Alter, Nationalität und Geschlecht“ die Zu- und Fortzüge über die Kreisgrenzen differenziert nach sechs Altersgruppen, Geschlecht und Nationalität („Deutsche“ und „Ausländer“) ausgegeben. Auch der Wanderungssaldo („Überschuss der Zu- bzw. Fortzüge“) über die Kreisgrenzen wird hier dargestellt. Die Differenz zwischen den Zu- und Fortzügen gibt an, ob ein Kreis oder eine kreisfreie Stadt durch die Wanderungsbewegungen an Bevölkerung gewonnen (positiver Wanderungssaldo) oder verloren hat (negativer Wanderungssaldo). Mögliche Auswirkungen dieser Wanderungsbewegungen auf den Arbeitsmarkt können im nächsten Schritt, insbesondere mit Blick auf die Entwicklung der Wanderungsbewegungen im Zeitverlauf, genauer analysiert werden.
Tipp: das Projekt „Neue Landlust“
Einen detaillierten Einblick in Wanderungsbewegungen bietet das Projekt „Neue Landlust“ des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung in Zusammenarbeit mit der Wüstenrot Stiftung. Auf https://neuelandlust.de/ können Wanderungssalden auf Gemeindeebene mithilfe einer interaktiven Karte abgerufen werden. Auf Landkreisebene werden zusätzlich die Binnenwanderung und Außenwanderung dargestellt. Durch diese kleinräumige Analyse der Wanderungsmuster können Kommunen z.B. nachvollziehen, welche Gebiete im Landkreis besonders oder weniger attraktiv sind. Durch diese Erkenntnis können Herausforderungen und gegebenenfalls notwendige Anpassungen (z.B. bezüglich der (Bildungs-)Infrastruktur) sichtbar gemacht werden. Auch eine Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden in diesen Bereichen kann sich als sinnvoll herausstellen.
Einen besonderen Fokus setzt das Projekt auf die Wanderungsbewegungen zwischen städtischem und ländlichem Raum. Beispielsweise wird betrachtet, welche Altersgruppen eher Städte oder ländliche Räume verlassen und welche Gemeindetypen im Zeitverlauf Zu- und Fortzüge zu verzeichnen haben. Die auf der Website präsentierten Ergebnisse sind insbesondere für Kommunen in ländlichen Räumen bedeutsam, die sich über die Entwicklungen von und die Gründe für Wanderungsbewegungen in ihrer oder in vergleichbaren Regionen informieren möchten. Grundlage der interaktiven Website ist die Studie „Landlust neu vermessen“ (Sixtus et al. 2022). Datengrundlage für die präsentierten Ergebnisse ist die Wanderungsstatistik der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder. Es werden die Jahre 2008 bis 2021 betrachtet.
Das Alter der zu- und abwandernden Personengruppen spielt eine wichtige Rolle für die Interpretation der Daten im Kontext der Fachkräftesicherung und ist häufig eng mit dem Grund für die Wanderungsbewegung verknüpft. Denn während der Gesamtwanderungssaldo zwar darüber informiert, ob im Berichtsjahr oder im Zeitverlauf mehr Zu- oder Fortzüge zu verzeichnen sind, so ermöglicht die Analyse einzelner Altersgruppen tiefere Einblicke in das kommunale Erwerbspersonenpotenzial. Ein Beispiel für die nach Altersgruppen differenzierte Betrachtung der Wanderungsbewegung findet sich im Bildungsbericht des Landkreises Ludwigslust-Parchim aus dem Jahr 2020. Hier werden die Gruppen der Bildungswandernden (18 bis 24 Jahre), der Berufs- und Arbeitsmarktwandernden (25 bis unter 30 Jahre), der Familienwandernden (30 bis unter 50 Jahre und unter 18 Jahre), der Altenwandernden (50 bis unter 65 Jahre) und der Ruhestandswandernden (ab 65 Jahren) unterschieden (Landkreis Ludwigslust-Parchim 2020, S. 41). Ergibt die Betrachtung dieser Wanderungsgruppen beispielsweise einen starken Zuwachs der Alten- und Ruhestandwandernden, während junge Menschen für ihre Ausbildung oder ihren Einstieg ins Erwerbsleben eher die Kommune verlassen, so hätte dies mittel- und langfristig negative Auswirkungen auf das lokale Fachkräfteangebot, obwohl bei diesem Szenario zeitgleich ein positiver Gesamtwanderungssaldo vorliegen kann.
Ein regionaler und überregionaler Blick auf Wanderungsbewegungen ermöglicht es, ein Verständnis davon zu erlangen, woher die Kommune am meisten an Zuwanderung gewinnt oder an welche Region oder Gebietseinheit sie die meisten Personen verliert. Insbesondere im Zeitverlauf können so (über-)regionale Entwicklungen dargestellt werden. Im Sinne der Fachkräftesicherung kann eine solche Analyse beispielsweise nahelegen, die Gruppe der Zugezogenen aus dem Ausland vertiefend zu betrachten, wenn für diese Gruppe steigende oder anhaltende Zuzüge zu verzeichnen sind. In diesem Fall würde die Integration von Menschen aus dem Ausland in den Arbeitsmarkt eine zentrale Stellschraube zur Erhöhung des Arbeitskräfteangebots darstellen. Ein detailliertes Beispiel für eine solche Analyse ist im Bildungsbericht des Landkreises Ludwigslust Parchim zu finden. Hier werden die Wanderungssalden zu drei Zeitpunkten und in Bezug zum Bundesland, zu Deutschland und zum Ausland betrachtet. Im Bildungsbericht werden sie anhand folgender Abbildung visualisiert:
Abbildung 1: Wanderungsbewegungen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Quelle: Landkreis Ludwigslust-Parchim 2020, S. 41
Die Grafiken zeigen, wie viele Personen im entsprechenden Berichtsjahr den Landkreis aufgrund eines Umzugs a) ins Ausland, b) in einen anderen Landkreis des Bundeslandes oder c) in ein anderes Bundesland verlassen haben bzw. in den Landkreis gezogen sind. Dies wird anhand der Wanderungssalden für die drei Raumbezüge vorgestellt. Zusätzlich wird dieser Wert differenziert nach Deutschen und Ausländer*innen dargestellt. Ob die zu- oder fortziehenden Personen langfristig umziehen, oder was die Gründe für die Zu- oder Fortzüge sind, zeigen die Daten nicht.
Im Kontext der Wanderungsbewegungen sind die Zuzüge aus dem Ausland für die Fachkräftesicherung von besonderer Bedeutung. Menschen mit Migrationshintergrund stellen eine Bevölkerungsgruppe dar, die im Fachdiskurs und entsprechenden Analysen als eine der zentralen Stellschrauben zur Erhöhung des Fachkräfteangebots diskutiert wird (Bundesregierung 2022; Fuchs et al. 2021; Hickmann et al. 2021; Schludi et al. 2018; Weiß 2018, S. 25-50). Im Fokus stehen dabei Strategien, Unterstützungsstrukturen und -angebote zur Integration in den Arbeitsmarkt. Diese sind auch anschlussfähig für eine Betrachtung im kommunalen Bildungsmonitoring. Die zwei nachfolgenden Beispiele aus der kommunalen Sozial- bzw. Bildungsberichterstattung bieten einen ersten Einblick in vertiefende Analysen der Zuwanderungsthematik:
- Ein Beispiel für eine sehr differenzierte Betrachtung der Bevölkerungsstruktur ist der Sozialdatenatlas der Stadt Heilbronn aus dem Jahr 2017, welcher sich dieser Thematik in sechs Unterkapiteln widmet. Das Unterkapitel „Menschen mit Zuwanderungsgeschichte“ befasst sich neben der Darstellung der Bevölkerungszusammensetzung (Herkunftsländer) sowie Zu- und Fortzügen im Zeitverlauf auch mit Kennzahlen bezüglich der Altersstruktur und der Bevölkerungszusammensetzung für die einzelnen Planungsbezirke (Stadt Heilbronn, Dezernat III, Amt für Familie Jugend und Senioren 2017, S. 18-27).
- Im dritten Bildungsbericht der Stadt Fürth aus dem Jahr 2020 werden im Kapitel „Neue Zuwanderung und Bildungsangebote“ eine Vielzahl an Analysemöglichkeiten im Kontext der Zuwanderungsthematik präsentiert (Stadt Fürth 2020, S. 175-198).
Bevölkerungsprognosen
Dass die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland maßgeblich auf Fachkräfteangebot und -nachfrage einwirkt, ist in vielen Regionen Deutschlands bereits zu beobachten. Wissen darüber, wie sich die Bevölkerungsstruktur in den kommenden Jahren und Jahrzehnten entwickeln wird, kann dabei helfen, frühzeitig begründete Maßnahmen zur Fachkräftesicherung zu ergreifen.
Sie gehen über die Fortschreibung vergangener Entwicklungen in die Zukunft hinaus. In der einschlägigen Literatur sind Begriffe, wie Prognose, Vorausberechnung, Projektion oder Schätzung, nicht immer trennscharf voneinander abzugrenzen. Nachfolgend wird der Begriff Prognose als Übergriff für alle methodischen Verfahren zur Vorausberechnung der demografischen Entwicklung, denen Annahmen zu wahrscheinlichen Entwicklungen zugrunde liegen, verwendet.
Prognosen sind häufig Gegenstand wissenschaftlicher Analysen, die sich mit der Fachkräftethematik auseinandersetzen. Ihre Ergebnisse zeigen neben deutschlandweiten Entwicklungen, wie dem Anstieg des Durchschnittalters der Bevölkerung, große regionale Unterschiede in den Auswirkungen der demografischen Entwicklung:
Es zeichnet sich ein Trend zur Verstädterung ab, der sich weiter verschärfen wird: Die heute schon attraktiven Städte in Ost und West von Hamburg über Berlin, Leipzig, Frankfurt am Main bis München, können sich auf Zugewinne einstellen, insbesondere von jungen Menschen und Berufseinsteiger*innen.
Ländliche Regionen, insbesondere im Osten Deutschlands, haben den stärksten Bevölkerungsrückgang zu erwarten. Auch periphere ländliche Räume im Westen sowie strukturschwache ehemalige Industriestandorte im Ruhrgebiet und im Saarland werden Einwohner*innen verlieren.
In den ostdeutschen Bundesländern finden sich sowohl die am stärksten schrumpfenden Kreise wie auch die am schnellsten wachsende Stadt. (Slupina et al. 2019, S. 14)
Differenzierte Entwicklung der Altersstruktur: „Während in den stark wachsenden Regionen die Erwerbspersonenzahl nur leicht steigt (0,8 %), reduziert sich die Zahl der Erwerbspersonen in den stark schrumpfenden Regionen um rund ein Viertel (-24,2 %).“ (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 2021)
Die vorgestellten Ergebnisse sowie die Abbildungen in der nachfolgenden Bildergalerie stammen aus drei wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die Bevölkerungs- bzw. Erwerbspersonenprognosen mit unterschiedlichen Prognosezeiträumen durchgeführt haben:
- Die „QuBe-Bevölkerungsprojektion für die Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands“ (Studrucker et al. 2022) aus dem gemeinsamen Projekt Qualifikation und Beruf in der Zukunft (QuBe) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS). Die Projektion reicht bis in das Jahr 2050. Weitere Informationen zum Projekt finden Sie hier.
- Die Prognose des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung mit dem Titel „Die demografische Lage der Nation: Wie zukunftsfähig Deutschlands Regionen sind“ (Slupina et al. 2019). Hierbei handelt es sich um eine prognostizierte Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2035.
- Die Erwerbspersonenprognose (Maretzke et al. 2021) bis zum Jahr 2040. Sie ist Teil der Raumordnungsprognose 2040 des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).
Die QuBe-Bevölkerungsprojektion bis 2050. Abbildung 2: Entwicklung des Bevölkerungsbestands auf Kreisebene in Prozent, 2020-2050. Quelle: Studtrucker et al. 2022, S.22
Prognostizierte Bevölkerungsentwicklung bis 2035 des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Abbildung 3: Prognostizierte Bevölkerungsentwicklung 2017 bis 2035 in Prozent. Quelle: Slupina et al. 2019, S. 16
Die Raumordnungsprognose bis 2040 des BBSR. Abbildung 4: Entwicklung der Erwerbspersonenzahl 2017-2040 in Prozent. Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung 2021
Die Abbildungen verdeutlichen, dass Kommunen im Zuge demografischer Entwicklungen mit sehr unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Dieser Umstand macht eine detaillierte kommunale Betrachtung der künftigen Bevölkerungsentwicklung unverzichtbar. Denn um Bildungsmaßnahmen zu implementieren, mit denen der demografischen Entwicklung passgenau begegnet werden kann, müssen zunächst die zentralen lokalen Problemstellungen identifiziert werden (Weishaupt 2015). Beispielsweise stehen für eine Kommune, für die eine besonders starke Alterung der Bevölkerung erwartbar ist, andere Ansatzpunkte zur Fachkräftesicherung im Fokus als für eine Kommune, deren Anzahl an Zuzügen aus dem Ausland in den kommenden Jahren voraussichtlich immer weiter ansteigen wird. Während erstere den Schwerpunkt auf die Förderung von Weiterbildungsprogrammen für ältere Arbeitnehmer*innen legen könnte, so scheinen für letztere unterstützende Maßnahmen zur Integration von Zugewanderten in den Arbeitsmarkt relevant.
Darüber hinaus nutzen kleinräumige, kommunale Analysen – im Gegensatz zu bundesweiten Prognosen, welche in der Regel die fortgeschriebenen Zensus-Daten verwenden, – die Bevölkerungsdaten der kommunalen Melderegister. Diese zeichnen sich aufgrund ihrer fortlaufenden Erhebung durch eine besonders hohe Aktualität aus. Wenn eine Kooperation mit den kreisangehörigen Gemeinden besteht oder initiiert werden kann, so können die notwendigen Daten jährlich von den Gemeinden eingeholt und zur Berechnung eigener Bevölkerungsprognosen verwendet werden. Bei selbst erstellten Bevölkerungsprognosen können darüber hinaus die zugrundeliegenden Annahmen und Szenarien bestimmt und bei der Berechnung berücksichtigt werden. Einige Beispiele für Bevölkerungsprognosen im kommunalen Bildungsmonitoring werden im nächsten Abschnitt vorgestellt.
Abbildung 5: Kreis Lippe – Bevölkerungsvorausberechung 2021. Quelle: Böhm-Kasper und Rempe 2023, S. 25
Wie die Grafik zeigt, wird die Bevölkerungsvorausberechnung hier in direkten Bezug zur künftigen Arbeitsmarktsituation gesetzt und die erwartbare Diskrepanz zwischen Berufseinsteiger*innen und -aussteiger*innen anhand der Prognoseergebnisse verdeutlicht.
Unabhängig vom Prognose-Angebot der Statistischen Landesämter haben Kommunen grundsätzlich die Möglichkeit, eigene Prognosen zu erstellen. Städte können sich in der Regel an die kommunale Statistikstelle wenden, um die Daten des Melderegisters zu erhalten, während Landkreise mit den einzelnen kreisangehörigen Gemeinden zusammenarbeiten müssen, um die entsprechenden Daten zu erhalten. Um eigene Bevölkerungsprognosen zu erstellen, verwenden Kommunen häufig spezielle Software-Lösungen, in welche jährlich die aktuellen Daten aus den einzelnen Gemeinden bzw. der Statistikstelle eingespeist werden.
Der Brandenburger Landkreis Ostprignitz-Ruppin hat im Zuge der Sozialberichterstattung im Jahr 2018 eine Bevölkerungsprognose veröffentlicht (Schilling 2018). Grundlage der Analyse sind ein eher pessimistisches und ein eher optimistisches Szenario. Zusätzlich werden die Prognoseergebnisse mit den Ergebnissen der „Bevölkerungsprognose für das Land Brandenburg – 2014 bis 2040“ vom Amt für Statistik Berlin-Brandenburg und dem Landesamt für Bauen und Verkehr aus dem Jahr 2015 abgeglichen. Wie auch beim Beispiel aus dem Kreis Lippe werden die Prognoseergebnisse in Ostprignitz-Ruppin mit Blick auf deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt betrachtet. Denn auch hier werden die Entwicklungen verschiedener Altersgruppen, wie die der erwerbsfähigen Bevölkerung (15 bis unter 65 Jahre) oder Personen im Alter der Ausbildung und Berufsfindung (18 bis unter 30 Jahre), separat dargestellt und bewertet. Abschließend werden die Ergebnisse für alle Altersgruppen gemeinsam in einer Übersicht zusammengefasst:
Abbildung 6: Landkreis Ostprignitz-Ruppin – Bevölkerungsprognose nach Altersgruppen für zwei Szenarien. Quelle: Schilling 2018, S. 39
Die Nutzung des "Hildesheimer Bevölkerungsmodells" im Landkreis Mühldorf am Inn
Der Landkreis Mühldorf am Inn verwendet das „Hildesheimer Bevölkerungsmodell“ zur Erstellung von Bevölkerungsvorausrechnungen. Wie die Anwendung des Modells funktioniert und welchen Mehrwert Bevölkerungsprognosen auf Gemeinde- und Landkreisebene für die Fachkräftesicherung haben können, erklärt Bildungsmonitorerin und Jugendhilfeplanerin Christiane Deinlein im Interview mit der KOSMO.
Tipp: Zwei interaktive Angebote mit Weitsicht
Für Interessierte lohnt sich ein Blick in zwei interaktiven Angebote, die ebenfalls anstreben, einen Ausblick in die Zukunft zu bieten.
Das interaktive Angebot zur Raumordnungsprognose 2040 des BBSR
Die Raumordnungsprognose 2040 des Bundesinstituts für Bau-, Stadt-, und Raumforschung (BBSR) setzt sich aus einer Bevölkerungsprognose, einer Haushaltsprognose und einer Erwerbspersonenprognose zusammen. Alle drei Prognosen sind Bestandteil des interaktiven Angebots zur Raumordnungsprognose des BBSR. Für die Haushalts- und Erwerbspersonenprognose liegen die Daten auf der Ebene der Raumordnungsregionen vor. Für die Bevölkerungsprognose stellen die Kreise und kreisfreien Städte den Raumbezug dar.
Der Prognos Zukunftsatlas 2022
Der Prognos Zukunftsatlas 2022 ist ein Ranking der 400 deutschen Kreise und kreisfreien Städte bezüglich ihrer Zukunftschancen und -risiken. Der Zukunftsatlas geht über die Thematik der demografischen Entwicklung hinaus und berücksichtigt außerdem die Themenbereiche Arbeitsmarkt, Wettbewerb und Innovation sowie Wohlstand und soziale Lage. Diese werden anhand von 29 Indikatoren betrachtet, welche sich wiederum in Stärke- und Dynamikindikatoren unterteilen lassen. Dabei handelt es sich um Indikatoren, die den Ist-Zustand einer Region abbilden (Stärkeindikator) und Indikatoren, die vergangene Entwicklungen in den relevanten Themenfeldern beschreiben (Dynamikindikatoren). Die Ergebnisse des Rankings sind in Form einer interaktiven Deutschlandkarte abrufbar.
Ansprechpartnerin
Katharina Kleinaltenkamp
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Standort Potsdam
kobra.net, Kooperation in Brandenburg, gemeinnützige GmbH
Benzstr. 8/9, 14482 Potsdam
Ansprechpartner:
Tim Siepke, Leitung
0331 / 2378 5331
info@kommunales-bildungsmonitoring.de
Standort Trier
Kommunales Bildungsmanagement Rheinland-Pfalz - Saarland e.V.
Domfreihof 1a | 54290 Trier
Ansprechpartner:
Dr. Tobias Vetterle, Leitung
0651 / 4627 8443
info@kommunales-bildungsmonitoring.de
Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.