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Im Interview: Landkreis Mühldorf am Inn

Themenseite Fachkräftesicherung

Die Nutzung des Hildesheimer Bevölkerungsmodells im Landkreis Mühldorf am Inn

Das Hildesheimer Bevölkerungsmodell prognostiziert die zukünftige Bevölkerungsentwicklung einer Region. Basierend auf dem Verständnis demografischer Faktoren wie Geburtenrate, Sterberate, Migration und Altersstruktur, bietet es eine fundierte Grundlage für langfristige strategische Planungen. Auch der Landkreis Mühldorf am Inn nutzt das Modell zur Erstellung von Bevölkerungsprognosen für den Landkreis sowie die 31 kreisangehörigen Städte, Märkte und Gemeinden

Im KOSMO-Interview beschreibt Jugendhilfeplanerin und Bildungsmonitorerin Christiane Deinlein den Prozess von der Idee bis zur ersten Anwendung des Modells sowie die Chancen, die die Analyseergebnisse zur Unterstützung der Fachkräftesicherung bieten.

Der Landkreis

  • Flächenlandkreis im südostbayerischen Raum östlich von München
  • der Landkreis besteht aus 31 Städten, Märkten und Gemeinden

Die Bevölkerung

  • stark variierende Bevölkerungsdichte auf Gemeindeebene: Waldkraiburg 1.111 EW/qkm, Oberneukirchen 43 EW/qkm
    (Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik, Fürth 2023, Stand: 31.12.2021)
  • Bevölkerungszahl: 123.746 Einwohner (Quelle: Einwohnermeldeämter der Gemeinden) mit prognostiziertem Wachstum

Die Wirtschaft

  • durch seine zahlreichen klein- und mittel- ständischen Betriebe geprägt
  • überwiegend ver- arbeitendes Gewerbe
  • negatives Pendlersaldo der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (Auspendler überwiegen Einpendler)

Christiane Deinlein im Interview

Welchen Mehrwert sehen Sie in der Nutzung des Hildesheimer Bevölkerungsmodells?

Mit dem Hildesheimer Bevölkerungsmodell steht uns ein Tool zur Verfügung, das ermöglicht, eigenständige Bevölkerungsprognosen sowohl für den Landkreis als auch für jede seiner 31 kreisangehörigen Gemeinden zu erstellen. Berechnungsgrundlage sind Daten zu Einwohnerzahlen und Wanderungen auf Gemeindeebene. Diese werden uns nach einem festen Schema seitens der Einwohnermeldeämter der Gemeinden jahrgangsscharf und differenziert nach Geschlecht übermittelt. Die Bevölkerungsprognosen zeigen die Bevölkerungsentwicklung für die kommenden 25 Jahre und werden den Gemeinden in standardisierter Form mittels eines sogenannten Steckbriefs weitergegeben.

Christiane Deinlein

Jugendhilfeplanung und Bildungsmonitoring, Landkreis Mühldorf am Inn

  • 2005 Studienabschluss zur Diplom-Geographin
  • 2011 Förderinitiative "Lernen vor Ort" im Bildungsmonitoring
  • 2012 Jugendhilfeplanung
  • Seit 2020 Jugendhilfeplanung und Bildungsmonitoring

08631 699-549
christiane.deinlein@lra-mue.de

Landkreis Mühldorf am Inn

Töginger Str. 18
84453 Mühldorf a. Inn

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Bevölkerungsprognosen nach dem Hildesheimer Bevölkerungsmodell, Seite 3
(Landkreis Mühldorf a. Inn, Basisjahr 2022)


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Einen besonderen Mehrwert des Modells sehe ich, neben der Aktualität der zugrundeliegenden Zahlen zur Bevölkerungsstruktur, in der Möglichkeit, verschiedene Szenarien hinsichtlich der Wanderungsbewegungen definieren zu können. Neben den Szenarien der ausklingenden Wanderung, der konstanten Wanderung und der natürlichen Bevölkerungsentwicklung ist es uns auch möglich, individuelle Szenarien für die Gemeinden zu definieren. So können wir zum Beispiel prognostizieren, wie sich die Ausweisung neuen Baulandes auf den erwarteten Zuzug von Personen auswirken kann. Dies hat je nach Alter der zu erwartenden Personen wiederum Einfluss auf das Fachkräftepotenzial in der Gemeinde. Darüber hinaus hätte ein erwartbarer Zuzug von vielen Personen in der Familienphase Auswirkung auf die Planungen im frühkindlichen Bereich. Mit dem von mir ebenfalls genutzten Kita-Modul, einem Zusatzmodul des Hildesheimer Bevölkerungsmodells, können die Kommunen bei ihrer Bedarfsplanung für Kinderbetreuungseinrichtungen unterstützt werden, da es frühzeitig Hinweise zur Auslastung der Einrichtungen und somit zur Ressourcenplanung, z.B. in Bezug auf das benötigte pädagogische Fachpersonal, liefern kann.

Grundsätzlich ist das Modell unkompliziert in der Anwendung und erfordert keine vertieften Kenntnisse in Excel, weder bei der Befüllung der Tabellen noch bei der Analyse der Prognosen.

 

Der Landkreis Mühldorf a. Inn hat im Jahr 2018 mit der Anwendung des Bevölkerungsmodells der Hildesheimer Planungsgruppe begonnen. Wie verlief der Prozess von der Idee bis hin zur Veröffentlichung der ersten Prognosen auf Gemeindeebene?

Im Februar 2017 fand unsere 5. Bildungskonferenz mit der Veröffentlichung des Sonderberichts zum Thema "Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung im Landkreis Mühldorf a. Inn", der ein Kooperationsprojekt zwischen Bildungsmonitoring und Jugendhilfeplanung war, statt. Als eines der zentralen Ergebnisse konnten wir den Wunsch der Netzwerkpartner nach kleinräumigeren Daten, auch im Bereich der Bevölkerungsentwicklung, feststellen. Um für den Landkreis und die Gemeinden nicht nur einmalig den Blick in die Zukunft zu werfen, sondern dauerhaft, befassten wir uns mit dem Erwerb eines eigenen Tools. Es wurden verschiedene Systeme und Anwendungen alternativer Anbieter verglichen und Gespräche mit Anwendern geführt. Schlussendlich fiel die gemeinsame Entscheidung des Bildungsmonitorings und der Jugendhilfeplanung auf das Hildesheimer Bevölkerungsmodell.

Im Sommer 2017 sprachen sich die entsprechenden Gremien nach einer Vorstellung des Vorhabens für einen Ankauf aus. Durch beharrliche Überzeugungsarbeit konnten mit allen Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen Kooperationsvereinbarungen geschlossen werden, die im Detail das Vorgehen bei der Abfrage und beim Umgang mit den Daten und Prognosen regeln. Beispielsweise darf der Landkreis ohne Zustimmung der jeweiligen Gemeinden die Daten nicht an Dritte herausgeben. Außerdem erhält jede Gemeinde jeweils nur Einblick in ihre eigene Prognose und in die des Landkreises.

Nach fast einem Jahr Vorbereitungs- und Überzeugungsarbeit auf verschiedenen Ebenen wurde der Auftrag an die Hildesheimer Planungsgruppe erteilt, sodass das Modell mit all seinen Datenblättern und einem zusätzlichen Modul für die Kitabedarfsplanung (Kita-Modul) für den Landkreis Mühldorf a. Inn programmiert werden konnte. Im Spätsommer 2018 befüllten wir das Modell erstmals mit den notwendigen Zahlen zum Stichtag 31.12.2017 und erstellten die ersten Prognosen.

Finanziert wurde das Prognosetool durch den Landkreishaushalt, die Gemeinden sind hier indirekt durch die Kreisumlage beteiligt.

 

Wie gestaltet sich seitdem für Sie der jährliche Ablauf bei der Arbeit mit dem Hildesheimer Bevölkerungsmodell?

Die Daten zu Einwohnerzahlen und Wanderungen werden uns nach einem festen Schema seitens der Einwohnermeldeämter der Kommunen (mit Kommunen sind in diesem Kontext kreisangehörige Gemeinden gemeint) jahrgangsscharf und differenziert nach Geschlecht übermittelt. Hierzu werden die Abfragelisten zu Beginn jeden Jahres an alle Einwohnermeldeämter versendet, mit der Bitte, die vorgefertigten Excel-Listen zum Stand 31.12. des Vorjahres mit dem Bestand an Einwohnern auszufüllen. Unter Berücksichtigung der altersspezifischen Geburtenziffer für unseren Landkreis und der Sterbetafel werden die Daten somit jährlich aktualisiert. Gleiches gilt für das Datenblatt mit den Wanderungssalden der vergangen drei Jahre.

Bevölkerungsprognosen nach dem Hildesheimer Bevölkerungsmodell, Seite 6/7
(Landkreis Mühldorf a. Inn, Basisjahr 2022)

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Nach dem Rücklauf werden die Zahlen einer Plausibilitätsprüfung unterzogen. Hierzu werden die Daten mit den Zahlen aus dem Vorjahr, mit dem Wanderungssaldo und mit der Fortschreibung des Bevölkerungsstandes auf Gemeindeebene des Statistischen Landesamtes verglichen. Danach werden die Daten in das Modell eingepflegt. Des Weiteren ist es nötig, alle zwei bis drei Jahre die altersspezifische Geburtenziffer des Landkreises und die Sterbetafel zu aktualisieren. Sind alle notwenigen Daten auf den neuesten Stand gebracht, so errechnet das Modell eigenständig per Makrobefehl die aktuellen Prognosen für alle Gemeinden. Das Modell gibt – analog zur Abfragemaske in Excel – die Bevölkerungsprognose nach Jahrgang und Geschlecht aus. Die Vorausberechnungen beschreiben die Bevölkerungssituation der kommenden 25 Jahre.

Zum Ende des 1. Quartals erhält jede Kommune eine aktualisierte Bevölkerungsprognose sowie die Prognose für den Landkreis als Steckbrief in einem standardisierten Foliensatz im PDF-Format. Es werden verschiedene grafisch aufbereitete Etappen der Bevölkerungsentwicklung zur Verfügung gestellt, mal als Tabelle, mal als Diagramm. Mit dieser Aufbereitung geben wir den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sofort einsatzbereite Folien an die Hand, die ohne weiteren Aufwand in einer Gemeinderatssitzung o. Ä. zum Einsatz kommen können. In der Regel erhalten die Kommunen Prognosen auf Grundlage des Szenarios mit ausklingender Wanderung. Auf Nachfrage erhalten sie auch Prognosen denen ein Szenario mit konstanter Wanderung zugrunde liegt.

Neben dem Steckbrief als Auszug aus dem Grundmodul zur allgemeinen Bevölkerungsprognose erhalten die Kommunen eine Übersicht aus dem ergänzenden Kita-Modul. Dieses Modul stellt die vorhandene Platzzahl in den Kindertageseinrichtungen den zu erwartenden Kindern in den verschiedenen Altersjahrgängen gegenüber. So lassen sich frühzeitig mögliche Engpässe erkennen und damit rechtzeitig Planungen anstreben.

In einer Pressemitteilung wird über die neueste Prognose des Landkreises berichtet.

 

Wie können die Analyseergebnisse zur Unterstützung der Fachkräftesicherung angewendet werden?

Zum einen ist natürlich die zukünftige Entwicklung der Gruppe an Personen im erwerbsfähigen Alter unter den verschiedenen Wanderungsszenarien zu analysieren. Denn in absoluten Zahlen macht es einen großen Unterschied, ob man die Prognose unter der Annahme einer konstanten Zuwanderung, einer sich abflauenden Zuwanderung oder gar unter einer ausbleibenden Zuwanderung berechnet. Durch die Fluchtbewegungen aus der Ukraine flossen außergewöhnliche Wanderungsgewinne, insbesondere von jungen Frauen und Kindern in die Prognose ein. Diese Auswirkungen machen sich in der Entwicklung der erwerbsfähigen Bevölkerung langfristig bemerkbar. Bereinigt man nun die Wanderungen um die Schutzsuchenden aus der Ukraine, da nicht angenommen werden kann, dass alle Geflüchteten auch bei uns im Landkreis bleiben werden, stellt sich die Entwicklung gänzlich anders dar. Dementsprechend verändern sich auch die Fachkräftepotenziale.

Des Weiteren ist es hilfreich, demografische Kenngrößen, wie den Jugend-, Alten- und Belastungsquotienten mit den prognostizierten Bevölkerungszahlen zu berechnen, um die gesellschaftlichen Verschiebungen in einer alternden Gesellschaft transparent zu machen. Durch das Hildesheimer Bevölkerungsmodell gelingt uns dies für alle 31 Städte, Märkte und Gemeinden.

Darüber hinaus können einzelne Kommunen mit einer ähnlichen Sozialstruktur in einem nächsten Schritt zu Wirtschafts- oder Sozialräumen aggregiert werden. Hier sind wir beispielsweise momentan dabei, uns die Gemeinden entlang der A94 anzuschauen. Die Autobahn, die den Landkreis Mühldorf a. Inn mit der Landeshauptstadt München verbindet, wurde vor wenigen Jahren fertiggestellt. Aus diesem Anlass betrachten wir derzeit die Bevölkerungsentwicklung, das Pendlerverhalten und die Entwicklung der Betriebe in den anliegenden Gemeinden genauer.

Ziel soll sein, eine Datengrundlage für Planungszwecke der Wirtschafts- förderung zu schaffen. Im nächsten Schritt wird diese Datengrundlage auch für die Bildungsplanung nutzbar gemacht. Denn durch die Ansiedlung neuer Firmen und der entsprechenden Fachkräfte werden sich auch neue Qualifizierungs- und Weiterbildungsbedarfe ergeben.

- Christiane Deinlein, Jugendhilfeplanung und Bildungsmonitoring Landkreis Mühldorf am Inn

Zum anderen gilt es nicht nur die Entwicklung von Fachkräftepotenzialen im Blick zu behalten, sondern auch die Entwicklung des Fachkräftebedarfs. So ist es beispielsweise vor dem Hintergrund der Kindertages- und Ganztagesbetreuung von großer Bedeutung zu wissen, wie sich die Bevölkerungsgruppe der 0 bis unter 11-Jährigen entwickelt, wann mit dem Peak bzw. wann mit einem Rückgang zu rechnen ist. Durch das Wissen, wie groß die Zielgruppe beispielsweise der Grundschüler im Jahr 2032 sein könnte, lassen sich Rückschlüsse auf den Bedarf an pädagogischen Fachkräften ziehen.

Fachkräfteengpässe könnten darüber hinaus auch auf Grundlage der prognostizierten älteren Bevölkerung sichtbar gemacht werden. Im Sozialbericht (Hrsg. Bezirk Oberbayern) wird unter anderem der Anteil pflegebedürftiger Menschen ab 75 Jahren nach Altersgruppen auf Landkreisebene berichtet. Hier wäre es denkbar, die Landkreisdaten zur Pflege im Zusammenhang mit der prognostizierten Bevölkerung im potenziell pflegebedürftigen Alter zu betrachten. Dadurch könnten Aussagen über die zu erwartende Anzahl der Personen mit Unterstützungsbedarf und somit auch über den künftigen Bedarf an Fachkräften in Gesundheits- und Pflegeberufen getroffen werden.

 

Vielen Dank für das interessante Interview, Frau Deinlein!

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